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AutorenbildBrigitte Stark

Sizilien - eine Insel hält uns den Spiegel vor



Sizilien, für die einen Urlaubsinsel und Sehnsuchtsort, für andere das Land der Mafia, der Armut und des Mülls. Bei oberflächlicher Betrachtung mögen beide Sichtweisen zutreffend sein. Doch diese Insel hat so viel mehr zu bieten, wenn man bereit ist, sich auf sie einzulassen, tief in ihr Inneres zu schauen. Sie nicht nur zu bereisen, sondern zu erleben.

Und schnell wird einem bewusst, dass wir sehr viel gemeinsam haben mit diesem Ort der Gegensätze und Zerissenheit.


Sizilien ist so widersprüchlich wie wir Menschen selbst. Wie eine  Bella Donna mit fröhlichem, geradezu ansteckendem Lachen und in ihrem bunten Kleid, zieht sie ihre Besucher in ihren Bann. Gewoben aus dem Azurblau des Himmels, durchzogen mit den silbern glitzernden Fäden des in der Sonne schimmernden Meeres, überzogen mit dem Gelb der Zitronen, dem Rot der reifen Granatäpfel, dem Grün der Oliven, dem Weiß des Salzes der Salinen. Stolz präsentiert sie uns die ganze Farbenpracht der unendlichen Früchte und Pflanzenvielfalt. So tanzt die Bella Donna ihren schönsten Tanz, voller Emotionen, gar wie der Ätna selbst, in der strahlenden Sonne. Dabei betört Sie mit herrlichen Düften und Gerüchen, wie man sie nur hier zu finden scheint. Doch genau wie wir, hat auch die Signora ein zweites Gesicht. Ungeschminkt und nackt zeigt sie uns ihre Narben: rauh, derb und manchmal abstoßend, gleichzeitig traurig, zerbrechlich und zutiefst verletzt. Und dennoch stolz auf all das, und es ist ihr gleichgültig was wir darüber denken.


Als ich vor Jahren das erste Mal nach Sizilien kam, war mir nicht so recht bewusst, was mich erwartet. Niemals zuvor erlebte ich auf meinen vielen Reisen durch Italien ein solches Gefühlschaos. Es war schon fast eine Art Hassliebe. Diese Insel überforderte mich. Weil ich vieles nicht verstand, für mich als Deutsche einfach gar nicht nachvollziehbar war, trotz meiner Offenheit für Neues und Fremdes, und ich es auch so vom Rest Italiens nicht kannte.

Inzwischen habe ich diese Insel und ihre Bewohner in mein Herz geschlossen. Ich betrachte die Dinge aus einer anderen Perspektive. Was nicht heißen soll, dass ich wegschaue oder gar die Augen verschließen. Im Gegenteil, Sizilien hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Ich durfte und darf immer noch sehr viel über mich selbst herausfinden und lernen. Ich habe mir viel Zeit genommen, Sizilien in seiner ganzen Vielfalt zu entdecken. Ich habe gelernt zu akzeptieren, dass all das, ob schön oder hässlich, rauh oder sanft, laut oder leise, zu Sizilien gehört. Denn genau das, macht sie zu dieser interessanten und einzigartigen Insel der Widersprüche.

Wenn man sich auf Sizilien voll und ganz einlässt, fordert es einen heraus. Hinzusehen, in sich hineinzuspüren, loszulassen, zu akzeptieren und respektieren und gleichzeitig sich selbst zu reflektieren. Diese Bella Donna selbst hält uns den Spiegel vor, prüft unsere Achtsamkeit und Toleranz. Allein schon die Vielfältigkeit der Nationen, die hier auf dieser Insel leben, mögen für manch einen eine Herausforderung darstellen. Was sich in Deutschland oftmals als großes Problem darstellt, ist hier in Sizilien normaler Alltag.  Man lebt, arbeitet und feiert miteinander, egal woher du kommst, was Du hast oder wer du bist.

Wie philosophierte Goethe einst: “Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele, hier ist erst der Schlüssel zu allem.“ Recht hatte er. Und damit meinte er sicher nicht nur die weißen Strände, smaragdgrünes Wasser, den auf uns oftmals bedrohlich wirkenden Ätna, griechische Tempel, antike Theater, normannische Architektur und die mit sozialen Problemen überhäuften Großstädte, allen voran Palermo. Nein ich glaube gerade die Andersartigkeit, die Vielfältigkeit verleitete ihn zu diesem Statement. Goethe war ein achtsamer Reisender und hat sich stets für Land, Leute und Kultur interessiert. Tun wir es ihm gleich.



Griechen, Römer, Araber, Normannen, Staufer, Spanier und Franzosen. Alle haben sie ihre heute noch sichtbaren Spuren und Einflüsse auf dieser Insel hinterlassen. Eine über im Laufe der Jahrtausende gewachsene und unübertroffene vielfältige Kulturlandschaft, die in Europa ihresgleichen sucht. Und wir in Deutschland haben Angst vor Fremden, vor Veränderungen und anderen Kulturen. Sich für sie zu interessieren, einzutauchen, versuchen zu verstehen, statt von vorneherein abzulehnen, würde vieles einfacher machen. Auch hier hält uns Sizilien mal wieder den Spiegel vor. Alte Glaubenssätze schlummern in unserem Unterbewusstsein und treten immer dann zum Vorschein, sobald wir auf "Fremde(s)" treffen. "Lass Dich nicht von Fremden ansprechen", "Geh nicht mit Fremden mit", "Öffne keinem Fremden die Tür" usw. Wer kennt sie nicht, diese Aussagen aus unserer Kindheit und sie prägen uns bis heute. Aber einmal erkannt, kann man daran arbeiten. Und schon lebt es sich so viel leichter und entspannter.

So sehr meine ersten Aufenthalte auf Sizilien ein Auf und Ab von Stimmungen und Gefühlen waren, so finde ich heute dort innerlich totale Ruhe und Frieden. Denn nicht nur die Natur, auch die Bewohner dieser wunderschönen Insel sind von einer Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit geprägt, wie, so habe ich den Eindruck, man sie nur hier findet. Man muss sich nur darauf einlassen. Und dabei öffnen sich wieder ganz neue Eindrücke, verändern sich Ansichten und bilden Verständnis und Brücken füreinander. Geschichten und Mythen werden zum Besten gegeben. Man wird vertraut mit Traditionen und erkennt, warum manche Dinge einfach so sind wie sie sind.

Solltest Du jemals Sizilien bereisen, lass auch Du sich ein, auf die Einzigartigkeit dieser Insel und ihre Bewohner. Lerne die Insel und Dein neues ICH kennen, brechen aus aus Deinen Zwängen, finde Ruhe und wieder zu Dir selbst. Entspanne an diesem wunderschönen Ort und spüre, wie befreiend es sein kann, sich fallen zu lassen und, dass Andersartigkeit nichts Bedrohliches sein muss. Denn auch wir sind Fremde in einem anderen Land - wenn auch nur für ein paar Tage oder Wochen.

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